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Rezension: In den Bergen lebt die Freiheit

Verantwortlicher Autor: Michael Fuchs Berlin, 07.04.2021, 22:29 Uhr
Nachricht/Bericht: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 8166x gelesen
Freudenberg-Rosenboom_Titelbild
Freudenberg-Rosenboom_Titelbild  Bild: Michael Fuchs

Berlin [ENA] In den Bergen fühlte sich Ludwig wohl. Der König von Bayern, von den Menschen bejubelt und in den Städten lautstark empfangen, zog sich lieber in die Einsamkeit zurück. In den Bergen schuf er sich Kunstwerke aus Landschaft und Bauten. Zu 12 Orten ist die Autorin gewandert und berichtet davon.

Nach seinem Tod aber verwahrlosten die meisten seiner Rückzugsorte, sie wurden geplündert, geschändet, einige aber wieder aufgebaut. Noch heute strahlen die Orte, ob mit oder ohne Bauten. Und eben diese Orte haben die beiden Autoren Sandra Freudenberg und Stefan Rosenboom aufgesucht. Sie berichten – jeder auf eigene Weise – über die Erfahrungen, die sie machten. Das Buch trägt den Untertitel „Wandern auf den Spuren von König Ludwig II.“ – aber handelt es sich um ein Wanderbuch?

Zunächst handelt es sich ganz objektiv um eine sehr hochwertige Publikation. Alle Objekte wurden (mühsam, wie die Autorin augenzwinkernd zugibt) aufgesucht, ja manchmal aufgespürt. Man fiebert förmlich mit: wird sie den Gipfel heil erreichen? Die Verbindung der beiden Autoren – Stefan Rosenboom ist wohl eigentlich als Fotograf unterwegs, schreibt aber selbst auch im Buch – zur Natur ist deutlich zu spüren. Das Buch sprüht buchstäblich vor Begeisterung!

Zauberhafte Fotos

Die Fotos von Stefan Rosenboom sind im Druck rau und grobkörnig, was vielleicht nicht alle mögen. Für mich macht es jedoch einen sehr guten, verzaubernden Eindruck; damit passt es ja auch zum Thema. Die Fotos sind oft schöner als manche Wandtapeten und man verliert sich in der Tiefe der Darstellung. Man möchte eintauchen in die Motive, so wunderbar verzaubernd wirken sie. Rosenbooms Texte sind in braunem Hintergrundton farblich abgesetzt.

Zwölf Kapitel mit zwölf Zielen

In 12 Kapiteln werden die 12 Touren der Autorin vorgestellt; sie nimmt die Leser mit auf ihre Abenteuer. 12 Hütten, von vielen, die Ludwig besaß und besuchte. Die Kapitel sind geografisch nach der Lage der Hütten, von West nach Ost, geordnet. Nach jedem Kapitel findet man eine Seite „Zum Nachwandern“. Aber: es gibt keinerlei Karten; weder zur Übersicht, noch im Detail. Es gibt überhaupt keine Übersicht und keine Details zu den Objekten: Schachen, Herzogstand, Soiernhäuser, Hochkopfhütte, Max-Ruh, Grasbergalm, Leining-Hütte, Vorderriß und Jachener Kirchensteig, Grammersberg, Pürschlinghäuser, Brunnenkopfhäuser, Schweizerhaus, Tegelberghaus, Kenzenhütte, Marokko-Wiese im Graswangtal und Burg Falkenstein.

Der Leser begleitet also die Autorin, die mal mit ihrem kurzbeinigen Mischlingshund unterwegs ist, mal mit dem Drahtesel „pedaliert“ und mal den Sohn dabei hat. Es menschelt sehr, wenn sie von den Gesprächen mit den Menschen berichtet, denen sie begegnet – sie hat sehr interessante Anekdoten und Erzählungen im Repertoire. Es werden vergessene Wege beschritten, aber auch vergessene (oder gänzlich neue) Worte eingeführt, wie flowig (Seite 73) oder Grödeln (Seite 90). Jedenfalls eröffnet sich ein neues Bild von Ludwig II. für die Autorin – vielleicht auch für den Leser.

Die lebensnahe Schilderung des mühevollen Aufstiegs wird unterstützt mit historischen Fotos. Bei der Führung durch das Schachen-Haus erlebt sie, wie ein „Achim“ berichtet, der Raum erinnere ihn an ein „Bordell in Bielefeld“ – sie „lachen wie die Verrückten. Darauf ein kühles Spezi und Marmorkuchen.“ Den Humor muss man mögen. Die Bedeutung des Schachen für Ludwig, der alljährlich zum Geburtstag am 25. August hierherkam, wird jedoch nicht erwähnt. Der Herzogstand jedoch war wohl Ludwigs „Lieblingsberg“ und „heimliche Residenz“ – warum erfährt der Leser leider nicht. Paul von Taxi und Ludwig, das war Freudenberg zufolge wohl zweifelsfrei eine Liebesgeschichte (Seite 27). Aber letztlich hat Paul wohl lieber eine Sängerin „gedatet“ und „jobbte".

Oft reißt eine zauberhafte Sprache den Leser dann aber doch wieder aus mancher Verwunderung zurück in die Traumwelt Ludwigs, um die es ja eigentlich geht: „Die Grenzen zwischen Irdischem und Himmlischem ist verschwunden, Realität und Fantastisches sind verschmolzen.“ Die Autorin beschreibt dann Ludwigs Gesamtkunstwerk aus Landschaftsbühne und Bauwerken, die nach seinem Tod verwahrlost, geplündert und oft genug geschändet wurden – einige sind aber wieder aufgebaut worden. Wir beschreiten gemeinsam mit der Autorin den Weg, der ab und an auch von Gämsen und Jungrind versperrt wird. Dabei wirft sie immer wieder gerne einen Blick zu Ludwigs parallelem Aufstieg.

Das Wasser auf dem Weg zur Hochkopfhütte schimmert „mal opal- mal topasfarben“ und „der Bach springt munter wie ein junges Katzerl“. Für Ludwig ginge es um die „Überwindung von kapitalistischem Machtstreben; er wollte, dass die Liebe die Menschen führt.“ Freudenberg findet einiges, was noch nicht entdeckt oder unterschlagen worden sei. So ist es ihr persönlicher „Tag der Befreiung“ (Seite 80), an dem sie drei verborgene Hütten entdeckt.

Interessant wird es, wenn sie am Vorderriß einige interessante Details vom Förster erfährt, der „wie ein Zerberus da“ steht (Seite 90). So erwähnt sie – neben der „kleinen Kapelle im neugotischen Stil“ – auch das kleine Schwimmbad (Seite 96) vor dem Königshaus. Ihr „gefällt diese Vorstellung sehr: König Ludwig badend auf diesem erhabenen Stück Erde.“ Leider gibt es von beidem keine Bilder.

„Oberammergau ist so was wie Wacken und Bayreuth zugleich.“ (Seite 120) Der Ort hat die Autorin begeistert. Nicht erwähnt wird jedoch die für Ludwig so wichtige Kreuzigungsgruppe, die er dem Ort geschenkt hat. Danach erlebt sie „das kontikihafte (?) Gefühl aus Einsamkeit, Ausgesetztheit und festem Willen, dies alles gut zu überstehen“. Nach dem „Swimmingpool“ aus Kapitel 6 berichtet sie auf Seite 140 zu den Brunnenkopfhäusern: „eine echte Berghütte ist nicht Disneyland, also keine Pommes und auch kein heißes Schaumbad. Ob das auch für Ludwig galt… Es gibt Gerüchte, die besagen, der König sei mit einer Badewanne im Gepäck auf so manche Hütte gereist.“ Der Watzmannhaus-Wirt vertraut ihr an: „Ich betreibe die höchste Psychiatrie der Welt."

Auch zum Schweizerhaus (Seite 146 ff.) weiß Freudenberg einiges zu berichten. So lebe Ludwig „die Jugend eines königlichen Naturburschen“, der sich mit Buch und Angelrute am See entspannen konnte. Etwas später lenkt sie aber dann doch ein: „Ludwigs Erziehung war ansonsten recht hart“. Nicht nur die Aussagen über Ludwig sind oft gegensätzlich – so wechselt die manchmal flapsige Sprache zu seltsamen Schlussfolgerungen. Bei der Beschreibung der Burg Falkenstein erfährt der Leser bezüglich des geplanten Bergfriedes: „Diese alles beherrschende, gigantische phallische Symbolik kann als Ausdruck der Unterdrückung seines Sexualtriebes gedeutet werden.“ Sie geht den Weg von der Burgruine hinab lieber zu Fuß und lehnt Hilfsangebote ab.

Das Buch schließt sie mit dem Fazit: „Ich brauche Zeit, um wieder zurückzukommen.“ Das alles hat sie wohl doch sehr mitgenommen. Im Text werden manchmal Quellen genannt, aber mancher aufgestellten Behauptung hätte eine genauere Recherche gutgetan. Auch weiterführende, ergänzende Literaturhinweise wären – neben den bereits erwähnten Karten – sehr hilfreich gewesen. Insgesamt ist es aber schon ein sehr schönes Buch geworden, das man gerne und mit Muße durchblättert. Die Fotos sind ganz bezaubernd und auch der Text bietet schöne Passagen. [Weitere Informationen gibt es wie immer auf www.Ludwigiana.de]

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