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IFA 2019 in Berlin - Shift Automotive

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 18.09.2019, 13:12 Uhr
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Künstlerische Gestaltung eines wichtigen Teils der Automobilität im Vorraum der Shift-Konferenz.
Künstlerische Gestaltung eines wichtigen Teils der Automobilität im Vorraum der Shift-Konferenz.  Bild: G. Bachleitner

München [ENA] Die Konferenz SHIFT Automotive wurde im Vorjahr gemeinsam von der IFA Berlin und der Geneva International Motorshow (GIMS) erstmals veranstaltet und fand heuer starken Zulauf. Start-ups, Automobilhersteller und Stadtplaner kamen zusammen, um zu diskutieren, wie Mobilität künftig aussehen könnnte.

Auf der politischen Agenda sah die Konferenz die Versöhnung von Gesellschaft und Ökologie in Fragen der Mobilität. Diesen zunächst durchaus konsensfähigen Ansatz trimmte Eröffnungsredner Boyd Cohen, iomob, aber gleich in eine bestimmte Richtung, verstand die Mobilität der Zukunft als „offenen globalen Marktplatz“. D.h. die Monetarisierung und Institutionalisierung von Mobilität wird hier bereits vorausgesetzt.

Sobald man wie Cohen, der in Barcelona ein integriertes Nahverkehrskonzept entwickelt, mit bereits digital greifbaren Akteuren zu tun hat oder zu tun haben will, ist der Weg vorgezeichnet. Man koordiniert und kollationiert die einzelnen Verkehrsträger zu einem multimodalen Verbund und präsentiert dann eine Route mit vielen Umsteigeaktionen als Mobility-as-a-service (MaaS). So mußte er etwa in Barcelona 18 E-Scooter-Betreiber unter einen Hut bringen, also zu einer jeweils offenen API überreden, um sie auf einem Portal versammeln zu können.

Dies ist eine überschaubare Aufgabe, weil bei soviel Konkurrenz ohnehin keine Monopolerwartungen bestehen. Ganz anders sähe oder sah das Problem aus, als Uber privat vermittelte Fahrten anbot und damit dem in den deutschen Kommunen monopolartig verfaßten, jedenfalls hoheitlich lizensierten Taxigewerbe in die Quere kam. Dort konnte und kann es keine Koexistenz oder Kooperation geben.

Dienstleistung oder Besitz?

Man kann MaaS im Detail noch ein wenig differenzierter gestalten. So verbindet ‚Vive la Car‘ nach eigener Aussage das Beste beider Welten, nämlich Autovermietung und geteilte Mobilität (Car Subscription und Shared Mobility). In Berlin ist bereits ein ähnliches Hybridangebot unterwegs, das die Individualität eines Taxis mit der multiplen Zielansteuerung mehrerer Mitfahrer kombiniert. Solche Lösungen sind beliebig fein kalibrierbar, um den sonst unüberbrückbaren Medienbruch zwischen Individual- und Massenverkehrsmittel zu überspielen.

Trotzdem kann MaaS nur einen Teil des Mobilitätsbedarfes abdecken, wie sehr leicht an jenem Realitätscheck aufgewiesen werden kann, den der Berichterstatter selbst für die Planung seiner Reise nach und seinen Fahrten in Berlin zwangsläufig unternommen hat. Nach Cohens Vorstellung wäre einer Zug- oder Busfahrt eine S-Bahn-Fahrt mit der BVG – per Wochenkarte – und einem per ‚App‘ buchbaren Mietfahrrad gefolgt. In diesem Falle hätte sogar das Sonderangebot des Fernbusneulings Blablabus zur Verfügung gestanden, der für 5 Euro von München nach Berlin gefahren wäre. Die damit verbundene Ersparnis hätte also für die beiden anderen Verkehrsmittel, BVG und Fahrrad, verwendet werden können.

Trotzdem blieben beide wesentlich teurer als die Mitnahme des eigenen Fahrrads mit dem Flixbus. Entgegen der „as-a-service“-Ideologie ist also der eigene Besitz nach wie vor wesentlich preisgünstiger als die Inanspruchnahme einer Dienstleistung. Dies läßt sich mühelos auch an den anderen „as-a-service“-Angeboten zeigen, etwa „Software-as-a-service“. Aus dieser Perspektive stellt sich die Mobilitätsfrage also ganz anders, besteht hauptsächlich in der Forderung des Verkehrsteilnehmers, Verkehrswege anzutreffen, die – wie man in der IT sagen würde - einer transparenten Nutzung offen stehen, also keine weiteren Selektionen, tendenziösen Asymmetrien oder Restriktionen enthalten oder vornehmen.

Wunsch, Wahn und Wirklichkeit

Daß sich die Leute die Freiheit und Flexibilität eines Individualverkehrsmittels nicht einfach nehmen lassen werden, sah auch Harald Welzer ein, Futurzwei, der in seinem Vortrag das Nach-Auto-Zeitalter ausrief. Seine soziologische Diagnose des Mobilitätsverhaltens war also durchaus zutreffend. Auch die von ihm wieder in Erinnerung gerufene, recht banale Einsicht, daß Zukunft nicht quasi von sich aus und von außen kommt, sondern gestaltet werden muß, ist sicherlich konsensfähig. Sein Übergang von der Diagnose zur Therapie gerät aber höchst fragwürdig, abgesehen davon, daß nach dem Werturteilsstreit in der Soziologie die Lizenz für Handlungsempfehlungen Soziologen nicht mehr automatisch erteilt werden kann.

Die Einseitigkeit seiner Position ließ sich schon an der Behauptung/Forderung ablesen, die Stadt der Zukunft könne nicht die Smart-City, sondern müsse die Analog-City sein. Auch die Unterstellung, daß es zuviel Mobilität(snachfrage) gebe, ist natürlich schon methodisch nicht akzeptabel. Über die Gründe des Einzelnen, Mobilität auszuüben und einen Verkehrsträger zu wählen, hat niemand anders zu befinden. Welzers Therapie- oder Zukunftskonzept enthielt eine Reihe wohlfeiler Wünschbarkeiten, deren Nichtrealisierbarkeit in etlichen Jahrzehnten deutscher Verkehrspolitik und Mobilitätsgeschichte indes bereits hinreichend erwiesen wurde.

Reale Bedürfnisse und Notwendigkeiten mit mehr oder minder frommen Wünschen zu verrechnen, ist fatal und führt geradewegs in den Tugendterror des Wohlfahrtsausschusses der Französischen Revolution. * * * * * * * * *

Eine genauere Analyse des Verkehrsgeschehens in den Großstädten – und nur davon handeln solche Restriktionskonzepte, denn auf dem dünner besiedelten Land fallen sie sofort in sich zusammen – müßte die oft höchst kontraproduktive Rolle der Kommunen bei der Verkehrslenkung zur Sprache bringen, die großenteils die Mißstände noch verschärft, die sie dann beklagt, und auf die gefährliche deutsche Neigung, sich der Obrigkeit, in diesem Falle als Betreiber eines als ökologisch unvermeidlich deklarierten, kollektivistischen und systematisch unzulänglichen ÖPNV, zu unterwerfen, aufmerksam machen.

Daß im Zusammenhang mit einer hysterisierten Klimadebatte nun auch eine sog. Verkehrswende verlangt wird, die erkennbar nur in der Zerstörung einer tragfähigen Verkehrsinfrastruktur besteht, so wie die ‚Energiewende‘ erfolgreich die Zerstörung einer tragfähigen und ökonomisch halbwegs rationalen Energieversorgungsinfrastruktur betrieben hat, läßt für die Mobilität der Zukunft Schlimmes befürchten.

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